Das Sechs‑Phasen‑Modell nach Fiechter und Meier
Der Pflegeprozess stellt den Kern moderner Pflegepraxis dar. Er bietet eine strukturierte Methode, mit der professionelle Pflegekräfte die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen planen, steuern und überprüfen. Insbesondere im deutschsprachigen Raum ist das Sechs-Phasen-Modell nach Fiechter und Meier verbreitet. Es gliedert die Pflege in sechs Schritte, die aufeinander aufbauen und durch einen Regelkreis immer wieder an den Anfang zurückgeführt werden. Dieser Beitrag erklärt, wie der Pflegeprozess funktioniert, stellt Alternativen vor und zeigt, wie das Pflegeteam durch eine strukturierte Pflegeplanung die Pflegequalität verbessert.
1. Was bedeutet der Pflegeprozess und warum ist er wichtig?
Der Begriff Pflegeprozess beschreibt eine zielgerichtete Vorgehensweise, mit der professionelle Pflegefachpersonen die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen planen und steuern. Der Prozess soll sicherstellen, dass alle Beteiligten nach einem einheitlichen Plan handeln und dieselben Pflegeziele verfolgen. So wird der Pflegealltag vereinheitlicht und gleichzeitig flexibel gestaltet. Zudem ist der Pflegeprozess rechtlich verankert: Das Pflegeberufegesetz weist Pflegefachpersonen ausdrücklich die Aufgabe zu, den Pflegebedarf zu erfassen, den Prozess zu gestalten und die Evaluation der Pflegequalität zu übernehmen.
Der Pflegeprozess ist wichtig, weil er das pflegerische Handeln transparent und nachvollziehbar macht. Die einzelnen Schritte – von der Informationssammlung über Diagnosen bis zur Evaluation – werden in der Pflegedokumentation festgehalten. Das schafft Beweissicherheit, erleichtert die Übergabe zwischen verschiedenen Pflegefachpersonen und sichert die Pflegequalität. Gleichzeitig unterstützt er eine ganzheitliche, ressourcenorientierte Pflege, indem nicht nur Probleme, sondern auch vorhandene Fähigkeiten des Patienten erfasst werden. Durch diesen systematischen Ansatz lassen sich komplexe Pflegesituationen strukturieren, was insbesondere bei der Zusammenarbeit vieler Beteiligter hilfreich ist.
2. Historische Entwicklung der Pflegeprozessmodelle
Die Idee, Pflege als Prozess zu verstehen, entstand Mitte des 20. Jahrhunderts. Auf Lydia Hall folgten Ida Jean Orlando und das Autorinnen-Duo Helen Yura und Mary Walsh, die 1967 ein vierphasiges Modell vorstellten: Assessment, Planung, Intervention und Evaluation. Dieses Konzept wurde von der WHO verbreitet und gilt weltweit als Standard. In den USA ergänzte man später eine Diagnosenphase, sodass ein fünfstufiges Konzept entstand, das den Einsatz standardisierter Diagnosen wie der NANDA-Taxonomie betont.
Im deutschsprachigen Raum gewann das Sechs-Phasen-Modell an Bedeutung. Es teilt die ersten Phasen des WHO-Modells auf und ermöglicht eine präzisere Analyse der patientenspezifischen Situation. Schon Ende der 1980er-Jahre wurde es in Ausbildungscurricula aufgenommen. In Deutschland wurde der Pflegeprozess 1985 in die Krankenpflegeausbildung integriert und später im Pflegeberufegesetz rechtlich verankert. Österreich folgte 1997. Diese Einbindung führte dazu, dass Pflegefachpersonen den Prozess als unverzichtbaren Teil ihrer Arbeit betrachten. Obwohl sich die Modelle in Anzahl und Namen der Phasen unterscheiden, bleibt das Grundprinzip identisch: Pflege ist ein systematischer Problemlösungs- und Beziehungsprozess, und die Terminologie beeinflusst das Ergebnis kaum.
3. Wie funktioniert das Sechs-Phasen-Modell nach Fiechter und Meier?
Das Sechs-Phasen-Modell beschreibt den Pflegeprozess als kybernetischen Zyklus mit Rückkopplung. Nach einer umfassenden Informationssammlung werden die Daten analysiert, um Probleme und Ressourcen zu identifizieren. Danach formuliert die Pflegefachperson gemeinsam mit dem Patienten konkrete Ziele, plant die Maßnahmen, führt sie durch und überprüft anschließend die Ergebnisse.
Besonders wichtig ist die Rückkopplung: Die Ergebnisse der Beurteilung fließen wieder in die Informationssammlung ein. Sind Ziele nicht erreicht, werden Ursachen gesucht und der Plan angepasst. So entsteht ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, der der Logik des PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) folgt. Dies unterscheidet den Pflegeprozess von einer einfachen To-Do-Liste; er ist ein dynamischer Zyklus, der auf aktuelle Entwicklungen reagiert.
4. Welche Phasen umfasst der Pflegeprozess nach Fiechter und Meier?
Nach Fiechter und Meier gliedert sich der Prozess in sechs logisch aufeinanderfolgende Schritte:
- Informationssammlung: Erhebung aller relevanten medizinischen, sozialen und emotionalen Daten. Die Pflegefachperson arbeitet mit Patienten und Angehörigen zusammen, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Sowohl subjektive als auch objektive Informationen werden aufgenommen.
- Erkennen von Ressourcen und Pflegeproblemen: Analyse der Daten, um aktuelle und potenzielle Probleme zu identifizieren und vorhandene Ressourcen zu nutzen.
- Festlegung der Pflegeziele: Formulierung realistischer Ziele nach SMART (spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch, terminiert).
- Planung der Maßnahmen: Erstellung eines konkreten Plans, in dem festgelegt wird, wer welche Maßnahme wie, wann und wo durchführt.
- Durchführung der Maßnahmen: Umsetzung der geplanten Schritte und Dokumentation der Abweichungen.
- Evaluation: Überprüfung, ob die Ziele erreicht wurden, und Anpassung des Plans.
Diese sechs Schritte bieten einen roten Faden durch den Pflegealltag und stellen sicher, dass der Prozess kontinuierlich und messbar bleibt. Jede Phase ist eng mit der nächsten verbunden.
5. Informationssammlung und Pflegeanamnese: Warum ist die Datenerhebung so wichtig im Regelkreis?
Die Informationssammlung bildet die Basis des gesamten Pflegeprozesses. Falsch oder unvollständig erhobene Daten wirken sich später auf die Zielsetzung und die Wirksamkeit der Maßnahmen aus. Fiechter und Meier betonen, dass Pflegefachpersonen sowohl subjektive als auch objektive Informationen erfassen müssen. Subjektive Angaben spiegeln die persönliche Sicht des Patienten wider, zum Beispiel Schmerzempfinden oder Angst. Objektive Daten wie Blutdruck und Temperatur sind messbar.
Gute Datensammlung bedeutet auch, Angehörige einzubeziehen und sich Zeit für Gespräche zu nehmen. Sie kann mithilfe standardisierter Instrumente wie der strukturierten Informationssammlung (SIS®) dokumentiert werden. Im Vier-Phasen-Modell wird die Assessment-Phase ähnlich beschrieben: Sie umfasst die Erhebung von kognitiven, kommunikativen und körperlichen Fähigkeiten, aber auch psychosoziale Aspekte und die Lebensumstände. Je vollständiger die Erhebung, desto zielgerichteter können Maßnahmen geplant werden, was insbesondere in der stationären und ambulanten Versorgung wichtig ist. Pflegefachpersonen benötigen dabei gute kommunikative Fähigkeiten, um relevante Details zu erkennen.
6. Pflegeprobleme erkennen und Ressourcen nutzen – wie gelingt das?
Nach der Datensammlung werden die Informationen analysiert, um Probleme und Ressourcen zu identifizieren. Es ist wichtig, zwischen generalisierten Problemen, die viele Patienten betreffen, und individuellen Problemen zu unterscheiden. Außerdem wird zwischen aktuellen und potenziellen Problemen differenziert – letztere ermöglichen frühzeitige Prävention.
Die Formulierung der Diagnose erfolgt häufig nach dem PÄS-Format (Problem, Ätiologie, Symptome). Die Ursachen geben Hinweise darauf, warum ein Problem entstanden ist, während die Symptome beobachtbare Zeichen sind. Gleichzeitig werden die Ressourcen des Patienten festgehalten: Fähigkeiten, die erhalten und gefördert werden sollen. Aktivierende Pflege gelingt nur dann, wenn diese Ressourcen berücksichtigt werden. Ein Beispiel: Ein Patient kann die Zahnbürste selbst führen, benötigt aber Unterstützung beim Bereitstellen der Utensilien. Solche praktischen Beispiele helfen, pflegerisches Handeln nachvollziehbar und individualisiert zu gestalten.
7. Pflegeplanung: Ziele festlegen und Pflegemaßnahmen planen
Die Planung bildet das Herz des Pflegeprozesses. Aus den Diagnosen werden Pflegeziele abgeleitet, die spezifisch und messbar sein müssen. Ziele werden häufig als Nah- und Fernziele formuliert – kurz- und langfristige Resultate, die den Patienten motivieren und Orientierung geben. Die SMART-Kriterien helfen, die Ziele strukturiert zu formulieren.
Anschließend werden im Plan konkrete Maßnahmen dokumentiert. Die Leitfragen „Wie-was-wann-wer-wo?“ erleichtern die Strukturierung. Zum Beispiel kann eine Maßnahme vorsehen, dass morgens und abends Teilkörperpflege durchgeführt wird – manche Körperteile übernimmt der Patient selbst, andere die Pflegefachperson. Klare Pläne erleichtern den Schichtwechsel und verbessern die Kontinuität der Pflege. Formblätter und digitale Dokumentationssysteme helfen, den Plan übersichtlich zu halten und nichts zu vergessen.
8. Durchführung und Evaluation: Warum sind diese Schritte eng miteinander verknüpft?
Die Umsetzung der Maßnahmen stellt die Praxisphase dar. Die Pflegefachperson setzt die geplanten Schritte um und beobachtet deren Wirkung. Abweichungen vom Plan müssen dokumentiert werden, damit sie später nachvollziehbar sind. In dieser Phase zeigt sich, wie realistisch die Planung ist und ob Anpassungen nötig werden.
Nach der Durchführung folgt die Beurteilung. Sie überprüft, ob die Ziele erreicht wurden und welche Wirkung die Maßnahmen hatten. Werden Ziele nicht erreicht, wird die Analyse der Ursachen zu einer neuen Informationssammlung, und der Zyklus beginnt von vorn. In der Akutpflege findet die Bewertung häufiger statt als in der Langzeitpflege, wo längere Intervalle angemessen sind. Dokumentierte Ergebnisse dienen auch der rechtlichen Absicherung und der Qualitätssicherung.
9. Vier- und fünfphasige Modelle: Welche Alternativen zum Sechs-Phasen-Modell existieren?
Neben dem sechsphasigen Zyklus existieren weitere Pflegeprozessmodelle. Das vierphasige Modell der WHO gliedert sich in Assessment, Planung, Intervention und Evaluation. Es zeichnet sich durch klare Terminologie aus und erlaubt sowohl standardisierte Diagnosen als auch frei formulierte Pflegeprobleme. In der deutschsprachigen Pflege hat es seit Mitte der 1990er-Jahre an Bedeutung gewonnen.
Das fünfphasige Modell, vor allem in Nordamerika verbreitet, ergänzt den WHO-Ansatz um eine eigenständige Diagnosenphase. Dadurch wird der Einsatz standardisierter Diagnosen hervorgehoben und die Planung weiter professionalisiert. Zudem gibt es das Strukturmodell mit der strukturierten Informationssammlung (SIS®), das vor allem im Pflegeheimbereich Anwendung findet. Trotz unterschiedlicher Phasen bleibt das Prinzip identisch: systematische Datenerhebung, Planung, Durchführung und Beurteilung.
10. Rolle des Pflegeteams und Dokumentation im Pflegealltag
Die beste Struktur nützt wenig, wenn sie im Arbeitsalltag nicht umgesetzt wird. Der Erfolg des Pflegeprozesses hängt maßgeblich vom Team ab. Eine gemeinsame Fachsprache und ein einheitliches Verständnis der Phasen erleichtern die Zusammenarbeit und verhindern Missverständnisse. Besonders in Einrichtungen mit Schichtdienst sorgt ein klarer Plan dafür, dass alle Pflegenden die gleichen Ziele verfolgen und ihre Arbeit nachvollziehen können.
Ebenso wichtig ist die Dokumentation. Sie hält jeden Schritt fest – von der Informationssammlung über die Diagnosen bis zur Beurteilung – und schafft Transparenz und Verbindlichkeit. Elektronische Dokumentationssysteme ermöglichen es, Daten schnell auszuwerten und die Qualität der Versorgung zu analysieren. Zwar empfinden viele Pflegefachpersonen die Dokumentation als zeitaufwendig, doch eine detaillierte Erstaufnahme und ein strukturiertes Planungsformular reduzieren den täglichen Aufwand und erleichtern die Übergabe.
Schließlich ist das Team auch für die Beziehung zum Patienten verantwortlich. Nur wenn Pflegekräfte empathisch zuhören und einen vertrauensvollen Kontakt aufbauen, können sie die individuellen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen richtig verstehen. Diese Beziehungsarbeit begleitet den gesamten Prozess und ermöglicht eine individuelle, bedarfsgerechte Pflege. Fortlaufende Weiterbildung, Supervision und Reflexion im Team fördern die Professionalität und halten den Pflegeprozess lebendig. Damit wird der Prozess erfolgreich und führt zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Pflegequalität.
Der Prozess stärkt die Professionalität, ermöglicht eine ganzheitlich orientierte, individuelle Pflege und trägt zur Verbesserung der Pflegequalität bei.